Trotz aller Warnungen hat sich Deutschland in eine extreme Abhängigkeit von China manövriert – auch im Bereich der Energiewirtschaft. Norddeutsche Unternehmen sind von diesen Zwängen ebenfalls betroffen. Wie kann eine neue China-Strategie für die Zukunft aussehen, um wieder unabhängiger zu werden?
von Philipp Abresch und Mario Schmidt
Der Krieg gegen die Ukraine zeigt, wie gefährlich Abhängigkeiten von autoritären Regimen sind. Auch Chinas Diktator Xi Jinping hat den Hunger nach Rohstoffen und immer günstigeren Produkten schon als Waffe eingesetzt. Was würde passieren, wenn Peking das bei uns versucht? Schließlich stammt aktuell etwa jeder dritte Importcontainer im Hamburger Hafen vom größten Handelspartner Deutschlands. Auf Zulieferungen aus China ist zudem fast jede zweite deutsche Industriefirma angewiesen.
HHLA-Chefin: “Um China lässt sich nicht herumhandeln”
In Deutschland hängen über eine Million Arbeitsplätze am Handel mit der Volksrepublik China. Aus keinem anderen Land importieren wir mehr Waren. 85 Prozent der importierten Laptops, 75 Prozent der Fahrradrahmen, 87 Prozent der importierten Kinderwagen, auch Rohstoffe für Windräder, Vorprodukte in der Medizin, Seltene Erden, Solarzellen – alles ist “Made in China”.
Der Hamburger Hafen sei dabei die Drehscheibe, erklärt Angela Titzrath, Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA): “Wir haben vom Maschinenbau bis zum Konsumartikel alles, was Deutschland braucht, was Europa braucht – oder was von Europa aus nach China exportiert wird.”
Was würde es also zum Beispiel für den Hamburger Hafen bedeuten, wenn Deutschland sich von China abkoppelt? “Die Frage müsste vielleicht eher heißen: Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft?”, antwortet HHLA-Chefin Titzrath auf diese Frage. “Nachdem China 20 Prozent der Weltwirtschaftsleistung produziert, ist China ein Land, um das man nicht herumhandeln kann. Eine Abschottung würde auch einen Wohlstandsverlust für Deutschland und auch für Europa bedeuten.”
Im Falle eines Konflikts könnte Deutschland Leidtragender sein
Das Motto scheint zu lauten: “Hauptsache günstig”. Lange wurde die wirtschaftliche Abhängigkeit von China für unbedenklich gehalten. Es gibt aber Bereiche, in denen uns ein abrupter Abbruch der Lieferketten teuer zu stehen kommen könnte, meint Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln: “Kritische Abhängigkeiten, die uns in einem geopolitischen Konflikt auf die Füße fallen würden, bestehen bei einzelnen kritischen Gütern, insbesondere Rohstoffen, Seltenen Erden. Es ist klar, dass in einem Konfliktszenario China sehr wahrscheinlich bereit sein würde, uns von der Ausfuhr oder von der Versorgung mit diesen Gütern abzuschneiden.”
Folgt auf die Russland-Ukraine-Krise schon bald die China-Krise?
Im Regierungsviertel in der Hauptstadt Berlin ist die Lage in der Ukraine seit mehr als einem Jahr das Dauerthema. Aber könnte China die nächste große Krise werden? Der russische Überfall auf die Ukraine stellt auf jeden Fall unser Verhältnis zu China plötzlich infrage. Was, wenn China auch einen Krieg beginnt – zum Beispiel mit dem demokratischen Taiwan?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, war gerade erst dort. Für sie hängen die beiden Konflikte zusammen: “Vor der taiwanesischen Küste ist richtig was los. Dass da große Sorgen sind, das spürt man überall. Wladimir Putin hat grünes Licht bekommen von Xi. Er hätte es ohne das grüne Licht nicht gemacht. China wird ganz genau gucken, was passiert in Europa, wie resilient sind wir? Wie bereit sind wir, unsere Freiheit zu verteidigen?”
China spielt wichtige Rolle für Energiewende in Deutschland
Deutschland hat nun auch ein China-Problem. Ähnlich wie Russland bei Öl und Gas, hat China uns auch bei Energiefragen in der Hand. Ohne China dürfte nämlich die eingeleitete Energiewende in Deutschland wohl nicht gelingen. In Albringhausen bei Bremen entsteht gerade ein neuer Windpark – mit Rotorblättern in fast 250 Metern Höhe. Ein Windrad kann mehr als 5.000 Einfamilienhäuser nachhaltig mit Energie versorgen. Sie sind die Hoffnungsträger für die Energiewende.
“Wir haben natürlich einige Einzelteile, die wir aus China bekommen, gerade Magneten aus Seltenen Erden, die wir im Generator einsetzen”, sagt Christoph Madena, Projektleiter beim Energieunternehmen Enercon aus dem ostfriesischen Aurich. Die Rotorblätter würden zwar an mehreren Produktionsstandorten hergestellt, für den Park in Albringhausen habe man sie aber aus China bezogen.
Enercon aus Aurich setzt auf chinesisches Know-how
Auch am Unternehmenssitz in Aurich, wo die Windkraftanlagen gebaut werden, sei man auf Zulieferungen und Teile aus China angewiesen, erklärt Enercon-Chef Jürgen Zeschky: “Wir brauchen Magnete für unsere Generatoren. So können wir sie sehr viel kleiner bauen und leistungsstärker, mit besserer Effizienz.”
Die Importe bekomme man komplett aus China. Auf dem Weltmarkt gibt es laut Zeschky praktisch kein anderes Unternehmen, das diese Magneten mit Seltenen Erden als Basismaterial liefern kann. Schweden habe zwar gerade bekannt gegeben, dass es die dafür nötigen Rohstoffe im Land gefunden habe, aber: “Bis so was von der Lagerstätte über Abbau, Raffinerie und dann wirklich Herstellung von Magneten funktioniert – da sind wir alle 10 oder 15 Jahre älter”, sagt Zeschky.
Klarheit über Abhängigkeit von China
Das Unternehmen Enercon hat viele Aufträge, auch aus dem Ausland. Die Branche boomt. Sie kämpft aber auch mit langen Genehmigungsverfahren oder stark gestiegenen Materialkosten. Die besten Preise für Komponenten bietet oft China.
Das Land hat die Lieferung Seltener Erden nach Japan allerdings auch schon mal aus politischen Gründen gestoppt. Wenn China morgen entscheiden würde, keine Magneten mehr zu liefern, dann hätte zum Beispiel Enercon “ein Riesenproblem”. Im Moment würde das Geschäft ohne China einfach nicht funktionieren, meint Firmen-Chef Zeschky.
Zurzeit gehe es darum, so günstig wie möglich zu produzieren – deshalb mache man Geschäfte mit dem Land, das die besten Preise aufruft. Wichtig sei es zudem, dass es auch im Krisenfall verlässliche Lieferanten für die benötigen Teile gebe.
Neue China-Strategie: Regierung steht vor Problemen
Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, schreibt mit an einer neuen China-Strategie. Aus ihrer Sicht ist nicht die Frage, wo die Waren oder Rohstoffe aktuell herkommen, sondern wie schnell Ersatz beschafft werden kann: “Wenn Sie etwas haben, wo Sie heute zu 100 Prozent abhängig sind von China, aber in zwei Wochen haben Sie es wieder in Deutschland hergestellt, dann mache ich mir darum keine Sorgen. Aber wenn ich weiß, dass es im Rohstoffabbau zehn Jahre dauert, bis ich eine Alternative habe, dann sind das die Bereiche, die mir Sorgen machen.”
Abgrenzungsprozess zu China dürfte ein Kraftakt werden
Noch brauchen sich China und Deutschland gegenseitig, betont Staatssekretärin Brantner: “Wenn China uns stoppen würde, dann stoppen wir auch was”. Doch China arbeite daran, langfristig unabhängig zu werden – sowohl von Importen aus dem Westen, als auch von Exporten in den Westen. Deshalb sei es wichtig, Deutschland jetzt selbstständiger, widerstandsfähiger und nachhaltiger aufzustellen, so die Grünen-Politikerin.
Weniger Abhängigkeit von China, dafür mehr Produktion nach Europa zurückholen – darüber denken neuerdings viele Industrien nach. Deutschland muss in diesem Bereich verlorenen Boden wiedergutmachen. Das allerdings dürfte ein industriepolitischer Kraftakt werden.