Viele Fragen zur Geschichte der Mindelburg in Mindelheim konnten noch nicht beantwortet werden. Forscher sind nun dem Erbauer auf der Spur. Ein Stück Schweinekiefer könnte dabei einen wichtigen Hinweis liefern.
Mit einem Sieb und einem Spatel trennt Markus Fischer organische Überreste vom aufgeschütteten Erdmaterial in einem Fehlboden im ersten Stock der Mindelburg: Knochenfragmente, eine Haselnuss, ein Stück Kohle kommen zum Vorschein und ein Teil eines Schweinekiefers. Die Balken hier stammten noch aus der Erbauungszeit der Burg, sagt der Leiter des Mindelheimer Stadtmuseums. Daher seien diese Funde besonders wertvoll: Sie helfen dabei, das genaue Alter des herrschaftlichen Baus zu bestimmen.
Schweinekiefer als Schlüssel zur Vergangenheit?
Die Datierung des Schweinekiefers und weiterer Funde mittels der C14-Methode lässt es zu, das Baujahr immer genauer einzugrenzen: Inzwischen geht man davon aus, dass die Mindelburg auf jeden Fall in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts errichtet wurde. “Dieses Stück Schweinekiefer ist auf 1109 datiert, plus minus 15 Jahre”, sagt Fischer. Aber, so Fischer weiter, “in der Archäologie ist es so: Ein Datum ist kein Datum, und wir brauchen noch ein bisschen mehr.” Datierungen weiterer Funde sollen folgen.
Burg mit wechselhafter Geschichte
Die Burg birgt noch so viele Geheimnisse, weil sie lange abgeschottet war: Im und nach dem Zweiten Weltkrieg diente sie als Lazarett. Zuvor hatten die Nationalsozialisten darin unter anderem ein Hitlerjugend-Zentrum untergebracht. Seit 1949 wurde die Burg vom Verlag Sachon als Geschäfts- und Produktionsstätte angemietet. Im Juli 2021 zog der Verlag aus der Hauptburg aus, und die Anlage ging in den Besitz der Stadt Mindelheim zurück. Seitdem ist die Erforschung der Mindelburg in vollem Gang.
In den zwei Meter dicken Außenmauern wurden bislang unbekannte Gänge entdeckt. In dieser Woche warf Fischer zusammen mit dem Mindelheimer Kulturamtsleiter Christian Schedler einen allerersten Blick in eine neu geschaffene Maueröffnung, mithilfe einer kleinen Kamera samt Taschenlampe an einer Teleskopstange. Unter dem etwa 20 Zentimeter breiten Loch kam ein Gang mit Treppenstufen zum Vorschein, der aus dem zweiten Stock der Burg nach unten führt.
Bereits vor einigen Wochen war bei statischen Erkundungen im Zuge der Sanierung der Burg ein ähnlicher Gang in der Außenmauer offengelegt worden. Wie der jetzt neu entdeckte Gang befindet er sich an der Ostflanke. Der zuerst entdeckte, weiter unterhalb gelegene Gang wurde im Zuge der zahlreichen Umbauten in knapp 900 Jahren Burg-Geschichte nach etwa sechs Metern Länge zugemauert. Laut Schedler hatte den bereits wieder begehbaren, etwa 75 Zentimeter breiten und 2,30 Meter hohen Korridor höchstwahrscheinlich seit Jahrhunderten kein Mensch mehr betreten. Ob die beiden Gänge einmal zusammenhingen, müsse erst noch erforscht werden.
Forscher rätseln noch über Funktion der Gänge
Mutmaßlich seien die Mauergänge einst von Bediensteten eines früheren Burgherrn für Besorgungsgänge genutzt worden, sagt Fischer, “oder auch als Fluchtgang, um sich bei Gefahr heimlich davon machen zu können”. Man vermute noch weitere solcher Gänge im Mauerwerk der Burg.
Auch Überreste kilometerlanger Fluchttunnel ins Tal hinab hat man bereits vor längerer Zeit im Erdreich um die Mindelburg entdeckt, Zugänge dazu aber noch nicht. Diese seien vermutlich irgendwann im Lauf der Jahrhunderte zugemauert oder zugeschüttet worden, sagt Schedler.
Der Geschichte auf der Spur
Im Oktober 2021 wurde die Mindelburg in den Status eines Denkmals von nationalem Rang erhoben und steht damit auf einer Stufe mit Schloss Neuschwanstein. Jetzt soll ein Burgmuseum entstehen, das laut Schedler in etwa fünf Jahren eröffnen könnte. Bis dahin wollen er und Fischer die größte noch ungeklärte Frage beantworten: Wer hat die Burg gebaut – und warum und wann? Da es sich um einen monumentalen Großbau und ziemlich sicher um das erste profane Bauwerk in Ziegelbauweise – der damals modernsten Bautechnik überhaupt – nördlich der Alpen handele, sei die Burg definitiv “keine Verteidigungsanlage” gewesen, sagt Schedler.
Damit kämen vor allem zwei mögliche Bauherren in Frage, die zur damaligen Zeit über genügend Macht und Geld verfügt hätten, einen derart repräsentativen Herrschaftssitz errichten zu lassen: Herzog Welf VI. und Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa. Das genaue Baujahr der Mindelburg könnte den entscheidenden Hinweis liefern. Markus Fischer wird weiter danach forschen.