Viele Familien mit geringem Einkommen hätten eigentlich Anspruch auf finanzielle Hilfe. Doch häufig scheitern sie an bürokratischen Hürden. Was läuft da falsch?
Jaqueline lebt in Saarbrücken und hat drei Söhne: Der älteste ist 17, der jüngste gerade eineinhalb Jahre alt. Sie hat lange im Pflegebereich gearbeitet, auch im Küchendienst. Finanziell war es immer eng, aber irgendwie ist sie über die Runden gekommen.
Im Corona-Lockdown verlor sie ihren Job, und da ihr jüngster Sohn schon unterwegs war, hat sie auch keine neue Beschäftigung gefunden. Deshalb lebt sie mit ihren drei Söhnen vorübergehend vom Bürgergeld. Und das ist trotz sparsamster Lebensführung extrem knapp.
In den letzten eineinhalb Wochen des Monats hat sie oft nur noch 60 Euro für die ganze Familie zur Verfügung, sagt sie gegenüber der ARD-Sendung Plusminus. “Dann gibt es eben nur Milchreis oder Nudeln mit Tomatensoße.”
Keine großen Anschaffungen
Kein Kino, kein Restaurant, kein Auto, kein Urlaub. So wie Jaqueline geht es vielen Familien, gerade Alleinerziehenden. Einschnitte macht Jaqueline nur bei sich selbst. Die letzte größere “Anschaffung” war eine neue Hose für 20 Euro. “Und selbst da hatte ich dann noch so ein bisschen ein schlechtes Gewissen”, sagt sie.
Eine große Hilfe für sie und andere Familien ist die Pädagogisch-Soziale Aktionsgemeinschaft e.V. (PÄDSAK), eine Gemeinwesen-Einrichtung in ihrem Saarbrücker Stadtteil. Die PÄDSAK bietet Unterstützung in allen Lebenslagen – von der Unterstützung beim Kampf mit den Behörden bis zur Wohnungssuche.
Die Organisation beobachtet, dass es Familien mit knappem Budget während der Corona-Pandemie besonders schlecht ging. Und kaum hat sich die Situation ein wenig entspannt, kam der nächste Schlag: Die Inflation schlägt wieder dort besonders hart zu, wo es ohnehin am knappsten ist.
“Die Preissteigerungen und die Energiekrise, die damit einherging, die wird erst in diesem Jahr 2023 wirklich zu Buche schlagen, denn vor allem sind Familien, die von Transferleistungen leben und Geringverdienerinnen und Geringverdiener, über die Maßen stark betroffen”, sagt Eva Jung-Neumann, Vorstand bei PÄDSAK.
Wust an Formularen
Dabei gibt es in Deutschland mehr Unterstützung für Familien mit Kindern als in vielen anderen Staaten: Das Kindergeld wurde auf 250 Euro erhöht, dazu kommen Einzelleistungen für Bildung und Teilhabe, zum Beispiel Zuschüsse für Klassenfahrten, Nachhilfe oder Schulmaterial. Auch beim Wohngeld werden Kinder berücksichtigt. Zusätzlich können Familien mit geringem Einkommen den neuen Kinderzuschlag beantragen – bis zu 250 Euro im Monat.
Aber: Bei Familien, die von Hartz-IV beziehungsweise Bürgergeld leben müssen, kommt kein Cent zusätzlich an, weil alles angerechnet oder abgezogen wird. Und viele andere mit geringem Einkommen scheitern an der Bürokratie. Der Wust an Formularen bei unterschiedlichen Behörden überfordert viele Eltern. Die komplexe Amtssprache und das raue Klima bei manchen Behörden schrecken viele ab.
Jaqueline hat es bei sich und anderen beobachtet, dass man am Ende oft nicht die Zeit und die Kraft hat, sich damit auseinanderzusetzen. “Dem einen würde Wohngeld zustehen, dem anderen Kinderzuschlag. Und da kommt man lieber mit weniger Geld zurecht anstatt sich damit noch rumzuärgern.”
35 Prozent nehmen Hilfen in Anspruch
Die großen Sozialverbände wie die Caritas sehen bei der Förderung von Familien mit geringen Einkommen schon lange Nachholbedarf. Die Bürokratie ist auch ihr ein Dorn im Auge. “Beim Kinderzuschlag gehen wir davon aus, dass nur 35 Prozent der anspruchsberechtigen Familien diese Leistung tatsächlich in Anspruch nehmen. Und das ist natürlich viel, viel zu wenig, um den Familien wirksam zu helfen”, sagt Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbands.
Ab 2025 will die Bundesregierung das ganze bisherige Durcheinander in der Kindergrundsicherung bündeln. Unkompliziert, schnell und digital – so das Versprechen. Und das haben viele Verbände und Sozialexperten schon lange gefordert.
Die Kindergrundsicherung soll aus einem Garantiebetrag bestehen, den alle bekommen – wie heute das Kindergeld. Plus einem Zusatzbeitrag – je nach dem Alter der Kinder und der Höhe des Familieneinkommens. Damit würde auf jeden Fall mehr Geld bei den berechtigten Familien ankommen, sagt die Caritas-Präsidentin. Auch für die Bundesregierung hat das Thema hohe Priorität.
Streit bei Ampelregierung
Für Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ist die Kindergrundsicherung “das zentrale sozialpolitische Projekt dieser Ampel-Regierung”. Sie sei im Koalitionsvertrag klar verankert. “Und es wäre einfach für die Glaubwürdigkeit der gesamten Ampel eine Katastrophe, wenn die Kindergrundsicherung nicht kommen würde”, so Paus. Und klar sei auch: Kinderarmut zu verhindern und abzubauen, das gebe es nicht zum Nulltarif.
Dass es mit dem unübersichtlichen Wirrwarr bei der Familienförderung nicht so weitergehen kann, ist auch für die FDP unstrittig. Christian Lindner, Bundesfinanzminister und FDP-Chef, bestätigt, dass es jetzt gilt, “ein automatisiertes, einfaches digitales Verfahren zu finden. Das hätte einen unglaublich großen Nutzen.” Das werde auch mehrere Milliarden Euro zusätzlich an Hilfen für Familien auslösen.
Kindergrundsicherung ab 2025?
Ob es allerdings bei den heutigen Fördersätzen bleibt oder ob sie aufgestockt werden, darüber wird weiter diskutiert. Die Familienministerin will mehr direkte Förderung, der Finanzminister eher die beruflichen Chancen der Eltern verbessern.
Immerhin: Dass die Kindergrundsicherung ab 2025 kommt, das bestätigen Christian Lindner und Lisa Paus. Und das ist – unabhängig von den Details, die noch ausgekämpft werden müssen – auf jeden Fall eine große bürokratische Erleichterung für die Familien und die Ämter, die bisher mit unterschiedlichsten Formularen kämpfen mussten.