Wednesday, January 15, 2025
HomeEuropaIst Schweizer Wissenschaftlern Ein Durchbruch In Der Schokoladenbranche Gelungen?

Ist Schweizer Wissenschaftlern Ein Durchbruch In Der Schokoladenbranche Gelungen?


Stellen Sie sich vor, Sie nehmen einen schönen, saftigen Apfel in die Hand, aber anstatt hineinzubeißen, behalten Sie die Kerne und werfen den Rest weg.

Dies ist, was Schokoladenhersteller traditionell mit der Kakaofrucht gemacht haben: Sie haben die Bohnen verwendet und den Rest entsorgt.

Doch nun haben Lebensmittelwissenschaftler in der Schweiz eine Methode entwickelt, mit der man Schokolade aus der ganzen Kakaofrucht statt nur aus den Bohnen herstellen kann – und zwar ohne Zucker.

Die Schokolade, die der Wissenschaftler Kim Mishra und sein Team an der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich entwickelt haben, enthält das Fruchtfleisch, den Saft und die Schale der Kakaofrucht, das Endokarp.

Das Verfahren hat bereits die Aufmerksamkeit nachhaltiger Lebensmittelunternehmen erregt.

Sie sagen, dass bei der traditionellen Schokoladenherstellung, bei der nur die Bohnen verwendet werden, der Rest der Kakaofrucht – die so groß wie ein Kürbis ist und voller Nährstoffe steckt – auf den Feldern verrottet.

Der Schlüssel zur neuen Schokolade liegt in ihrem sehr süßen Saft, der, wie Herr Mishra erklärt, „sehr fruchtig, ein bisschen wie Ananas“ schmeckt.

Dieser Saft, der zu 14 % aus Zucker besteht, wird zu einem hochkonzentrierten Sirup destilliert, mit dem Fruchtfleisch vermischt und dann – um die Nachhaltigkeit auf ein neues Niveau zu heben – mit der getrockneten Schale oder dem Endokarp vermischt, um ein sehr süßes Kakaogel zu bilden.

Wenn das Gel den Kakaobohnen bei der Herstellung von Schokolade zugesetzt wird, ist kein raffinierter Zucker mehr nötig.

Herr Mishra betrachtet seine Erfindung als die jüngste in einer langen Reihe von Innovationen der Schweizer Schokoladenhersteller.

Im 19. Jahrhundert erfand Rudolf Lindt, Mitglied der berühmten Schokoladenfamilie Lindt, zufällig den entscheidenden Schritt des „Conchierens“ der Schokolade – das Rollen der warmen Kakaomasse, um sie geschmeidig zu machen und ihren Säuregehalt zu reduzieren – indem er einen Kakaomassemischer über Nacht laufen ließ. Das Ergebnis am Morgen? Köstlich geschmeidige, süße Schokolade.

„Sie müssen innovativ sein, um Ihre Produktkategorie zu halten“, sagt Mishra. „Sonst … werden Sie nur durchschnittliche Schokolade herstellen.“

Partner bei seinem Projekt war Mishras Schweizer Start-up KOA, das sich mit nachhaltigem Kakaoanbau beschäftigt. Dessen Mitbegründer Anian Schreiber ist davon überzeugt, dass die Nutzung der gesamten Kakaofrucht viele Probleme der Kakaoindustrie lösen könnte, vom steigenden Preis für Kakaobohnen bis hin zur weit verbreiteten Armut unter den Kakaobauern.

„Anstatt darüber zu streiten, wer wie viel vom Kuchen bekommt, macht man den Kuchen größer und sorgt dafür, dass alle etwas davon haben“, erklärt er.

„Die Bauern erzielen durch die Nutzung des Kakaomarks ein deutliches Zusatzeinkommen, aber auch die wichtige industrielle Weiterverarbeitung findet im Ursprungsland statt. Dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen und Wertschöpfung generiert, die im Ursprungsland verteilt werden kann.“

Herr Schreiber bezeichnet das traditionelle System der Schokoladenproduktion, bei dem Bauern in Afrika oder Südamerika ihre Kakaobohnen an große Schokoladenproduzenten in wohlhabenden Ländern verkaufen, als „nicht nachhaltig“.

Dieses Modell wird auch durch eine neue Ausstellung in Genf in Frage gestellt, die sich mit der kolonialen Vergangenheit der Schweiz beschäftigt.

Denjenigen, die darauf hinweisen, dass die Schweiz nie eigene Kolonien hatte, entgegnet die Schokoladenhistorikerin Letizia Pinoja, dass Schweizer Söldner die Kolonien anderer Länder überwachten und Schweizer Schiffseigner Sklaven transportierten.

Insbesondere Genf, sagt sie, habe eine besondere Verbindung zu einigen der ausbeuterischsten Phasen der Schokoladenindustrie.

„Genf ist ein Zentrum des Rohstoffhandels und seit dem 18. Jahrhundert gelangte Kakao nach Genf und dann in den Rest der Schweiz, um dort Schokolade herzustellen.

“Ohne diesen Warenhandel mit Kolonialwaren wäre die Schweiz nie zum Schokoladenland geworden. Und Kakao unterscheidet sich in keiner Weise von anderen Kolonialwaren. Sie alle stammen aus der Sklaverei.”

Heutzutage unterliegt die Schokoladenindustrie viel strengeren Vorschriften. Die Hersteller müssen ihre gesamte Lieferkette überwachen, um sicherzustellen, dass keine Kinderarbeit stattfindet. Und ab nächstem Jahr muss bei allen in die Europäische Union importierten Schokoladen garantiert werden, dass für den Anbau des darin verwendeten Kakaos keine Wälder abgeholzt wurden.

Doch sind damit alle Probleme gelöst? Roger Wehrli, Direktor des Verbands der Schweizer Schokoladenhersteller Chocosuisse, sagt, dass es vor allem in Afrika immer noch Fälle von Kinderarbeit und Abholzung von Wäldern gebe. Er befürchtet, dass einige Hersteller, um den Herausforderungen aus dem Weg zu gehen, ihre Produktion einfach nach Südamerika verlagern.

“Löst das das Problem in Afrika? Nein. Ich denke, es wäre besser, wenn verantwortungsbewusste Unternehmen in Afrika blieben und zur Verbesserung der Situation beitrugen.”

Deshalb hält Herr Wehrli die neue Schokolade, die in Zürich entwickelt wurde, für “sehr vielversprechend. Wenn man die ganze Kakaofrucht verwendet, kann man bessere Preise erzielen. Das ist also für die Bauern ökonomisch interessant. Und es ist aus ökologischer Sicht interessant.”

Den Zusammenhang zwischen Schokoladenproduktion und Umwelt betont auch Anian Schreiber. Ein Drittel aller landwirtschaftlichen Produkte, sagt er, „landet nie in unserem Mund“.

Diese Statistiken sind für Kakao sogar noch schlechter, wenn die Frucht nicht mehr verwendet wird und nur noch die Bohnen verwendet werden. „Das ist, als würde man den Apfel wegwerfen und nur die Kerne verwenden. Genau das machen wir derzeit mit der Kakaofrucht.“

Die Lebensmittelproduktion verursacht erhebliche Treibhausgasemissionen. Die Reduzierung von Lebensmittelabfällen könnte daher auch zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. Schokolade, ein Nischen-Luxusartikel, ist an sich vielleicht kein großer Faktor, aber sowohl Herr Schreiber als auch Herr Wehrli glauben, dass sie ein Anfang sein könnte.

Doch zurück im Labor bleiben wichtige Fragen offen: Wie viel wird diese neue Schokolade kosten?

Und das Wichtigste: Wie schmeckt es wirklich, wenn es keinen raffinierten Zucker gibt und nur aus dem natürlichen Saft der Kakaofrucht besteht, der Fruchtzucker enthält, um die Süße zu erhalten?

Die Antwort auf die letzte Frage ist aus Sicht dieses schokoladeliebenden Korrespondenten: überraschend gut. Ein reichhaltiger, dunkler, aber süßer Geschmack mit einem Hauch von Kakaobitterkeit, der perfekt zu einem Kaffee nach dem Abendessen passt.

Die Kosten dürften angesichts der globalen Macht der Zuckerindustrie und der großzügigen Subventionen, die sie erhält, weiterhin eine Herausforderung darstellen. „Die billigste Zutat in Lebensmitteln wird immer Zucker sein, solange wir ihn subventionieren“, erklärt Kim Mishra. „Für eine Tonne Zucker zahlt man 500 US-Dollar oder weniger.“ Kakaomark und -saft kosten mehr, daher wäre die neue Schokolade vorerst teurer.

Dennoch haben Schokoladenproduzenten in Kakaoanbauländern – von Hawaii über Guatemala bis Ghana – Herrn Mishra kontaktiert, um Informationen über das neue Verfahren zu erhalten.

In der Schweiz beginnen einige der größeren Hersteller – darunter Lindt – neben den Bohnen auch die Kakaofrucht zu verwenden. Doch keiner hat bisher den Schritt gewagt, vollständig auf raffinierten Zucker zu verzichten.

„Wir müssen mutige Schokoladenproduzenten finden, die den Markt testen wollen und bereit sind, zu einer nachhaltigeren Schokolade beizutragen“, sagt Mishra. „Dann können wir das System durchbrechen.“

Vielleicht finden sich diese mutigen Produzenten in der Schweiz, deren Schokoladenindustrie jedes Jahr 200.000 Tonnen Schokolade im Wert von schätzungsweise 2 Milliarden US-Dollar herstellt. Roger Wehrli von Chocosuisse sieht eine nachhaltigere, aber dennoch rosige Zukunft.

„Ich glaube, dass Schokolade auch in Zukunft fantastisch schmecken wird“, betont er. „Und ich glaube, dass die Nachfrage aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung in Zukunft steigen wird.“

Und werden sie Schweizer Schokolade essen? „Natürlich“, sagt er.

Quelle

RELATED ARTICLES

Übersetzen

- Advertisment -

Meistgelesen