Nach zwölf Jahren in CSU-Hand führt nun ein FDP-Minister das Verkehrsministerium. Wissing will die Bahn wieder flottmachen. Doch Vorsicht an der Bahnsteigkante. Zweifel sind angebracht.
Mehr Verkehr auf der Schiene – dieses Ziel haben über die Jahre mehrere Bundesverkehrsminister verfolgt. Und dieses Ziel wurde auch erreicht. Heute ist auf deutschen Schienen so viel los wie noch nie zuvor.
Was die Verkehrsminister aber offenbar weniger bedacht haben: Mit dem zunehmenden Verkehr hätten auch Netz und Infrastruktur der Bahn mitwachsen müssen. Das Gegenteil ist passiert: Zahlreiche Strecken wurden stillgelegt, Bahnhöfe geschlossen, berichtet Dirk Flege vom Bahn-Branchenverband “Allianz pro Schiene”: “Ein geschrumpftes Schienennetz und ein stark wachsender Verkehr auf der Schiene – das kann nicht lange gutgehen.”
Die Folgen bekämen die Bahnkundinnen und Bahnkunden täglich zu spüren: “Zugausfälle, Verspätungen, überlasteter, teilweise kollabierender Schienenverkehr und ein überlastetes Schienennetz.”
Was wurde eigentlich aus Scheuers “Schienenpakt”?
Fleges Ansicht nach tragen dafür vor allem die Verkehrsminister in Berlin die Verantwortung. In den vergangenen zwölf Jahren waren es immer CSU-Politiker, sie alle hatten für die Bahn schöne Worte und Projekte parat. Etwa Andreas Scheuer, der vor drei Jahren mit seinem “Schienenpakt” große Ziele hatte. Er kündigte eine “leistungsfähigere, pünktliche, zuverlässige, flexible und wettbewerbsfähige Bahn” an.
Doch geändert hat sich über die Jahre wenig. Nicht erst seit Scheuer und seinen CSU-Vorgängern, sondern schon seit Jahrzehnten sind Unterhalt und Modernisierung des Schienennetzes vernachlässigt worden. Der verkehrspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Stefan Gelbhaar, kritisiert: “Die Bahn ist von der politischen Führung ein Stück weit im Stich gelassen worden.” Es fehle eine konsequente Eigentümeridee, eine Eigentümerstrategie, die klarmache, was man mit dieser Bahn eigentlich anfangen wolle.
Gelbhaar und viele Experten sind der Meinung: Die Bahnreform in den 1990er-Jahren inklusive Privatisierung und Profitstreben hätten die Bahn in die völlig falsche Richtung gesteuert.
Auch Wissing verspricht viel
Volker Wissing, der amtierende Bundesverkehrsminister, will nun gegensteuern und die Kehrtwende schaffen. “So wie es ist, kann es nicht bleiben”, sagte der FDP-Politiker vor einem Jahr. Wissing will zum einen strukturelle Veränderungen: “Wir wollen die Bahn nicht zerschlagen, aber wir wollen eine selbstständige, gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft innerhalb des integrierten Konzerns errichten.” So sollen Erhalt und Ausbau der Infrastruktur künftig unter gemeinwohlorientierter Perspektive erfolgen, betont der Minister. 2024 soll diese Infrastrukturgesellschaft kommen.
Zum anderen will Wissing das Schienennetz modernisieren. Besonders stark befahrene Strecken sollen zu Hochleistungskorridoren umgebaut werden. Dazu werden die Strecken ab dem nächsten Sommer komplett gesperrt, um sie runderneuern zu können.
Bis zum Ende des Jahrzehnts soll eine Großbaustelle auf die nächste folgen – mit Konsequenzen für das gesamte Schienennetz, prophezeit Dirk Flege von der “Allianz pro Schiene”: “Das ist eine Horrorvorstellung.” Allerdings könne niemand, der sich mit dem Thema auskenne, eine bessere Alternative nennen. So muss es also erst mal schlimmer werden, damit es irgendwann besser wird.
Grüne fordern mehr Geld für die Bahn
Die Grünen hadern mit der Bahnpolitik der Bundesregierung – obwohl sie ja mitregieren. Mit der Bahnpolitik von FDP-Minister Wissing sind sie nicht zufrieden. Sie wünschen sich mehr Geld für die Bahn. Zwar habe die Ampelkoalition mit dem Bundeshaushalt einen ersten großen Schritt gemacht, aber “da müssen wir jetzt konsequent dranbleiben”, fordert Grünen-Politiker Gelbhaar. Die Bahn brauche deutlich höhere Investitionen.
Die Ampelkoalition hat beschlossen, den größten Teil der Zusatzeinahmen aus der höheren Lkw-Maut in die Bahn zu stecken. Gelbhaar rechnet mit bis zu sieben Milliarden Euro jährlich. Noch sei diese Zahl im Haushalt nicht zu finden. Die Grünen kündigen an, bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen im Bundestag hart bleiben zu wollen – so lange, bis das Geld im Haushalt hinterlegt ist und fließt.
Es kursiert die Summe von 90 Milliarden Euro
Die Bahnbranche schätzt den Investitionsstau inzwischen auf 90 Milliarden Euro. Das Geld würde benötigt, um beispielsweise “tausende Kilometer stillgelegte Strecken zu reaktivieren, den Schienenverkehr zu digitalisieren und das Netz weiter zu elektrifizieren”, erklärt Dirk Flege von der “Allianz pro Schiene”.
Bundesverkehrsminister Wissing muss also noch beweisen, wie ernst er es mit der Kehrtwende bei der Bahn wirklich meint – um nicht in die Riege der Verkehrsminister aufgenommen zu werden, die viel geredet und versprochen, aber die Bahn nicht besser gemacht haben.