Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird die Rüstungsbranche von vielen Menschen anders gesehen. Doch ist ein Investment in Panzerbauer deswegen ethisch oder gar nachhaltig? Experten sind skeptisch.
Der Pazifist und Journalist Carl von Ossietzky konstatierte vor gut 100 Jahren: “Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede.” Das zeigt sich zumindest seit einiger Zeit auch an den Börsenkursen wichtiger deutscher Rüstungskonzerne.
Der Wert der Rheinmetall-Papiere hat sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar des vergangenen Jahres von rund 90 Euro auf zuletzt etwa 270 Euro fast verdreifacht. Das Unternehmen stieg deswegen in den DAX auf. Auch die Aktien des Radarherstellers Hensoldt aus Bayern sind etwa doppelt so viel wert wie noch vor dem Ukraine-Krieg.
“Rüstung wird zunehmend als etwas Positives gesehen”
Lange Zeit hatten Investoren Rüstungsaktien zuvor nur mit spitzen Fingern angefasst – oder gleich ganz links liegen gelassen. Lobbyorganisationen setzen sich dafür ein, Rüstungsfirmen vollständig etwa aus Fonds zu tilgen.
Mit Russlands Angriff auf die Ukraine habe sich die Wahrnehmung der Verteidigungsindustrie gewandelt, so der österreichische Finanzethiker Klaus Gabriel: “Rüstung wird zunehmend als etwas Positives gesehen einfach aus dem Grund heraus, dass man erkannt hat, dass die Verteidigung eines Hoheitsgebietes erforderlich ist oder auch die Abschreckung gegenüber möglichen Aggressionen notwendig ist.”
Anbieter nachhaltiger Fonds, die er zu ihrem Portfolio berät, dächten beispielsweise darüber nach, ihre Beimischquoten von Rüstungstiteln auszuweiten, sagt Gabriel.
Kritiker überdenken ihre Haltung
Auch eine Umfrage des Vergleichsportals Verivox aus dem vergangenen Jahr deutet in diese Richtung. Der repräsentativen Erhebung zufolge fand es vor Kriegsbeginn eine Mehrheit der Deutschen (53 Prozent) moralisch verwerflich, wenn Privatanleger in Rüstungsunternehmen investieren. Nach dem Angriff Russlands gaben knapp zwei Drittel (60 Prozent) der zuvor überzeugen Rüstungsgegner an, ihre Meinung geändert zu haben, Rüstungsinvestments inzwischen in Ordnung zu finden oder ihre Haltung dazu zu hinterfragen.
Aber: Auch wenn viele Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine zeigen wollen und plötzlich mehr Verständnis für Rüstung haben – können Investments etwa in Panzerhersteller auch ethisch oder gar nachhaltig sein?
EU will Rüstung nicht auf Negativliste setzen
Zumindest die Europäische Union sagt nun indirekt: ja. Sie erklärt, dass auch Panzerbauer und Co. durchaus den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen können. In der neuen Nachhaltigkeitstaxonomie taucht die Branche zwar nicht explizit auf. Die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuiness stellte im September aber klar: Initiativen zur nachhaltigen Finanzierung müssten im Einklang mit den Bemühungen der EU stehen, “der europäischen Verteidigungsindustrie den Zugang zu Finanzmitteln und Investitionen zu erleichtern”.
Einschränkungen beträfen umstrittene Waffen, die durch internationale Konventionen verboten seien – also beispielsweise Streumunition, biologische Waffen oder Giftgas.
Die EU will mit ihrer sogenannten “Taxonomie” Kriterien schaffen, die Aufschluss geben, wie nachhaltig Unternehmen sind, sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht. Diese ESG-Standards werden für viele Investoren ein immer wichtigeres Kriterium. Die Rüstungsbranche hat gegen eine Ausnahme für sie starke Lobbyarbeit betrieben – ohne ein Positivlabel, so die Befürchtung, würde die Branche weniger leicht an Geld von Banken kommen.
Union Investment findet Panzerbauer nicht nachhaltig
Allerdings: Die ESG-Kriterien sind nur Anhaltspunkte. Banken können mit ihren Anlageprodukten darüber hinausgehen. So macht es beispielsweise die Fondsgesellschaft Union Investment. Wer bei seiner Bank einen nachhaltigen Fonds des Anbieters kaufe, finde darin keine Panzer- oder Gewehrbauer, sagt Henrik Pontzen, Leiter ESG bei Union-Investment: “Wir schließen die aus, denn es ist unsere Überzeugung, dass nur nachhaltig genannt werden darf, was nicht wesentliche negative Nebenwirkungen hat.”
Rüstung erfüllte für die Union Investment dieses Kriterium nicht. Denn auch wenn Verteidigung notwendig sei, brächten Waffen immer auch Tod und Leid mit sich. Der Fondsanbieter will Anlegern die Wahl lassen. So sind in seinen konventionellen Fonds auch Rüstungsfirmen enthalten.
Doch auch hier habe sich man rote Linien gezogen, sagt Pontzen: “Hersteller von biologischen, chemischen Waffen oder Streubomben sind für uns kategorisch ausgeschlossen.” Vor einigen Jahren hatte die Union Investment ihr Portfolio von solchen Unternehmen bereits gereinigt.
Profit treibt Nachfrage
Gabriel, der jahrelang Vorstand des Cric e.V. war, einem Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage, sieht den aktuellen Nachfrageboom bei Rüstungspapieren auch weniger durch Ethik und Moral getrieben, als durch ein anderes Interesse: Profit.
Über viele Jahre hätten nachhaltige Investments bessere Gewinne eingefahren als Rüstung. Das sei seit Beginn des Ukraine-Kriegs anders. “Und das macht es natürlich auch für Anleger interessant.”
Doch für ethische Anleger komme ein Investment in solche Produkte seiner Meinung nach nicht in Frage – auch wenn die Kurse gut seien. “Ich weiß um die Notwendigkeit, dass man sich als Staat verteidigen muss und soll”, sagt Gabriel. “Aber als Investor muss ich nicht vom Leid, das Krieg und Waffeneinsatz zwangsläufig verursachen, finanziell profitieren.” Als nachhaltiger Investor müsse man ein solches Investment auch mal links liegen lassen.