Tuesday, October 15, 2024
HomeEuropaBergwandern Mit Kind – Kann Das Gutgehen?

Bergwandern Mit Kind – Kann Das Gutgehen?


Funktioniert eine Bergtour mit einem fünfjährigen Kind, mit kilometerlangen Wanderungen durchs Hochgebirge und Übernachtung in Berghütten? Unsere Autorin hat es mit Mann und Tochter im Wallis ausprobiert – und ist auf den Geschmack gekommen.

er Weg ist das Ziel, doch manchmal stehen Hindernisse im Weg. Zum Beispiel hier und jetzt und mit vier Beinen. Wir sind unterwegs vom Kreuzboden zur Weissmieshütte im Schweizer Kanton Wallis. Der Pfad ist steinig und steil, er führt vorbei an großen, schwarzen Kühen mit spitzen Hörnern. Die Tiere flößen unserer Tochter Respekt ein. „Mama, ich habe meine rote Jacke an, hoffentlich werden die Kühe nicht sauer“, sagt die Fünfjährige, sie hat in einem Buch kürzlich eine Geschichte von wilden Stieren gelesen.

Im Alltag hätte sie wahrscheinlich an dieser Stelle gebockt. Hier aber atmet sie tief durch und geht dann entschlossenen Schritts an den Rindviechern vorbei. „Wir haben echt keine Zeit für diese doofen Kühe“, sagt sie laut. „Wir müssen unsere Hütte erreichen, bevor es dunkel wird!“ So hätte ich in ihrem Alter vermutlich auch gedacht – ich höre mich in meiner Tochter selbst reden und muss lachen.

Bis es dunkel wird, sind es noch ein paar Stunden. Aber die Herausforderung der Tour hat Anouk gut erfasst. Wir sind drei Tage im Saastal in den Schweizer Alpen unterwegs und wollen auf zwei Hütten übernachten. Es ist unsere erste „richtige“ Familienbergtour, Eltern mit Kind, denn bisher sind wir nachmittags immer wieder zurück ins Tal gelaufen. Diesmal bleiben wir oben, auf Augenhöhe mit den höchsten Gipfeln der Schweiz.

Die komplette Wanderstrecke von Saas-Grund nach Saas-Almagell ist insgesamt rund 17 Kilometer lang. Aber es gibt eine familienfreundliche Variante: Bei der nimmt man das schöne Panorama in vollem Umfang mit, kann aber einige Abschnitte mit Gondel oder Sessellift überwinden.

Wir haben die Route zudem dreigeteilt: Am ersten Tag steigen wir zwei, drei Stunden zur Weissmieshütte auf, am zweiten wollen wir fünf Stunden über einen Höhenweg zur Almagelleralp wandern. Am dritten Tag ist der dreistündige Abstieg nach Saas-Almagell geplant. Die beste Zeit für diese Wanderung ist zwischen Mitte Juni und Anfang Oktober – aber selbst im Spätsommer weht hier oft ein kalter Wind, weshalb wir Mützen und warme Jacken tragen.

In der Hütte planen Bergsteiger ihre Touren

Als wir die Weissmieshütte fast erreicht haben, kommt der Hunger um die Ecke. „Wann machen wir endlich Picknick?“, fragt Anouk ungeduldig. Zum Glück wartet vor der Hütte eine Terrasse wie aus dem Bilderbuch. Mit Blick aufs 3206 Meter hohe Jegihorn stärken wir uns mit Käsebroten, Walliser Aprikosen, Nüssen und Schweizer Schokolade. „Und was machen wir jetzt?“, fragt Anouk abenteuerlustig. Jetzt stellen wir erst mal unsere Rucksäcke ab. 90 Übernachtungsplätze hat die Weissmieshütte, die meisten davon in Schlafsälen mit Etagenbetten.

Dort nächtigen die Tourengeher, die nachmittags mit schweren Seilen und Eispickeln einchecken und am nächsten Morgen aufs Fletschhorn oder aufs Lagginhorn gehen. Aber buchbar sind auch Zimmer mit gemütlichen Kojen. Um dorthin zu kommen, muss man über eine steile Holztreppe nach oben steigen.

Warmes Wasser gibt es auf der ganzen Hütte nicht, ebenso wenig wie Duschen. Aber der große Aufenthaltsraum ist gut beheizt, weshalb sich dort schon am frühen Nachmittag die Bergmenschen versammeln. Sie trinken heiße Schokolade und kaltes Bier und reden über Wind und Wetter – was auf knapp 2800 Metern kein Small Talk ist, sondern Teil der Routenplanung.

„Morgen früh wird der Wind stärker“, sagt Hüttenwirt Roberto Arnold, 47, zu einem Bergsteiger. „Ich würde eine Stunde später losgehen.“ Der Bergsteiger nickt – und verlegt seine Frühstückszeit von 3.30 Uhr auf 4.30 Uhr. Wer die Berge erobern will, muss vor dem Frühtau raus. Arnold bewirtschaftet zusammen mit seiner Frau Carla, 40, die Hütte seit mehr als 15 Jahren. Ihre Kinder gehen in Saas-Grund zur Schule und kommen meist am Wochenende hoch. „Es ist ein besonderes Leben“, sagt Carla. „Aber ich mag es. Du bist weit weg von der Welt.“

Die Tour zur Almagelleralp beginnt mit einer Kletterpartie

Den Rest des Nachmittags verbringen wir in der warmen Hütte, spielen Kniffel und hören den Geschichten der Bergsteiger zu. Pünktlich um 18.30 Uhr gibt es Essen für alle: Hühnchencurry, nicht gerade Anouks Leibgericht. Doch die Höhe macht hungrig, sie schöpft ohne Murren Reis, Fleisch und Sauce aus ihrer Schüssel.

Als die Sonne ein paar Stunden später hinter den Gipfeln versinkt, liegen wir in unseren Kojen im Familienzimmer. Das Kind schläft sofort ein, ich liege noch lange wach. Durch die dünnen Wände hört man jedes Wort, außerdem pfeift draußen der Wind ums Haus. Irgendwann döse auch ich ein – doch nicht lange: Um 4.15 Uhr klingelt im Nachbarzimmer der erste Wecker, danach summt es im Viertelstundentakt.

Auch unser heutiges Tagesziel hat es in sich: Die „Königsetappe“ unserer Tour zur Almagelleralp führt über knapp acht Kilometer und 500 Höhenmeter. Am Anfang ist der schmale Pfad eine wilde Kletterpartie über Felsen und Steine. Auf dem Grat unterhalb des Triftgletschers sind die Windböen so stark, dass sie mir fast den Boden unter den Füßen wegziehen. Gut, dass Anouk trittsicher und schwindelfrei ist.

Natürlich haben wir für unsere Hüttentour „trainiert“, waren an den Wochenenden bei uns im Mittelgebirge wandern. Anfangs waren unsere Wege fast flach und keine drei Kilometer lang. Doch schon bald wurden die Distanzen länger und die Berge steiler. Mein Mann und ich haben diese Touren sehr genossen. Auch Anouk hat schnell verstanden, dass man beim „Wandern“ nicht nur Berge hochläuft, sondern die Eltern auch mal ganz für sich allein hat. Und dass es hinterher meist große Portionen Käsespätzle gibt.

Jetzt tänzelt sie über die Felsen wie eine kleine Bergziege. Nur ganz selten greift sie nach meiner Hand. Und ich atme durch: Nach den ersten 200 Höhenmetern wird der Pfad ruhiger. Mal schlängelt er sich über Wiesen, mal windet er sich an Felswänden entlang. Und überall gibt es etwas zu sehen.

Beim Wandern gehört das Innehalten zum Programm

Wer mit einer Fünfjährigen auf Wanderschaft geht, bewegt sich anders. Langsamer, logisch. Aber auch andächtiger. Vögel, Schmetterlinge, Kühe und sogar Blumen müssen beobachtet werden. Anouks Neugier führt dazu, dass auch wir immer wieder stehen bleiben und innehalten. Im Alltag hätten wir für so etwas keine Zeit – beim Wandern ist es Teil des Unterhaltungsprogramms.

Doch irgendwann wird auch das beste Programm langweilig. Gut, dass das Ziel unserer Etappe bald zu sehen ist: ein graues Steinhaus mit roten Fensterläden unterhalb des Rotblattgletschers. Anouks Augen fangen an zu leuchten. Den Rest des Weges erzählt sie uns von Einhörnern und vergisst dabei, dass sie schon seit vier Stunden unterwegs ist.

Als wir auf der Almagelleralp ankommen, schmecken uns Rösti und Apfelschorle wie ein Sternemenü. Die Hütte liegt 2194 Meter hoch und ist nur zu Fuß zu erreichen. Einmal pro Woche kommt ein Hubschrauber und bringt frische Lebensmittel. „Und dann ist wieder Ruhe“, sagt Urs Anthamatten, 71, der Hüttenwirt und lacht. Ich laufe ihm auf der Terrasse in die Arme, wo er seinen Gästen gerade frisch gebackenen Apfelkuchen mit Sahne serviert.

Anthamatten ist pensionierter Lehrer, er bewirtschaftet die Almagelleralp seit 2016. „Ich komme aus einer Hüttenfamilie“, sagt er. Schon als Kind war er regelmäßig hier oben. Damals war sein Onkel noch der Hüttenwart. Anthamatten hat ihm mehrmals pro Woche Proviant geliefert – auf dem Rücken von zwei Maultieren. Seitdem habe sich, bis auf den Helikopter, nicht allzu viel geändert. „Das Leben auf dem Berg ist friedlich“, sagt er.

Wir legen den Rest des Tages die Füße hoch, schauen den Wolken beim Werden zu und sammeln Blaubeeren. Nach dem Abendessen bietet Anthamatten einen Birnenschnaps an, doch ich lehne dankend ab – schließlich liegt morgen ein weiterer strammer Wandertag vor uns. Vom Bett aus schauen wir auf die verschneiten Gipfel und fallen alle drei kurz darauf in tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen ist Anouks Wanderlust überschaubar. Erst der Anblick einer Gämsenfamilie vor unserem Fenster bringt sie auf Trab. Ich freue mich auf den Weg hinunter nach Saas-Almagell, denn die Karte verspricht einen „Erlebnisweg“ – und hält Wort: Wir müssen über Hängebrücken balancieren, Leitern bergauf und bergab kraxeln und uns über schmale Tritte am Fels entlanghangeln. Mehrmals schnellt mein Puls steil nach oben. Viel Zeit zum Runterkommen hat er nicht. „Kommt, da hinten wartet das nächste Abenteuer“, drängelt Anouk, sobald sie eine weitere Kletterpassage entdeckt.

Als wir nach knapp drei Stunden den Sessellift in Furggstalden erreichen, sind wir stolz und zufrieden: Unsere erste Bergtour ist geschafft – und es war: grandios. Später, als wir frisch geduscht beim Abendessen in unserem Hotel sitzen, schmiedet Anouk bereits neue Pläne. „Nächstes Jahr machen wir alle zusammen einen Kletterkurs“, sagt sie. Mein Mann und ich zwinkern uns zu. Das klingt nach einem guten Projekt. Vielleicht schaffen wir es dann tatsächlich aufs Jegihorn.

Tipps und Informationen für die Schweiz:

Anreise: Mit der Bahn bis Visp, dann weiter mit dem Postbus, der in der Schweiz Postauto heißt, bis nach Saas-Fee (postauto.ch). Der Ort selbst ist autofrei, es verkehren regelmäßig Busse zwischen den Ortsteilen.

Unterkunft: „Walliserhof“, Fünfsternehotel mit Pool, Wellnessbereich und internationaler Küche, gelegen im Zentrum von Saas-Fee, Doppelzimmer mit Frühstück ab umgerechnet 287 Euro, walliserhof-saasfee.ch. „Hotel Les Amis“ in Saas-Fee, beliebt bei Skimannschaften, die zum Sommertraining auf den Allalin-Gletscher kommen, Frühstücksbuffet mit lokalen Produkten, Doppelzimmer mit Frühstück ab 150 Euro, lesamis-saas-fee.ch. „Saas Fee Wellness Hostel 4000“, moderne Jugendherberge mit Mehrbett-, Doppel- und Familienzimmern, Schwimmbad und Sauna, Übernachtung ab 65 Euro pro Person, youthhostel.ch.

Berghütten: Weissmieshütte, klassische Berghütte mit Schlafsälen und Familienzimmern oberhalb von Saas-Grund, auch im Winter geöffnet, Übernachtung mit Halbpension ab 88 Euro pro Person, Kinder bis sechs Jahre 25 Euro, weissmieshuette.ch. Almagelleralp, uriges Berghotel mit Lagerschlafplätzen und Zwei- bis Vierbettzimmern, geöffnet bis 15.10., Übernachtung mit Halbpension ab 78 Euro pro Person, almagelleralp.com

SourceWelt
RELATED ARTICLES

Übersetzen

- Advertisment -

Meistgelesen