Stabiles Land, stabiles Geld, stabile Lebensentwürfe: Im internationalen Vergleich läuft vieles rund in der Schweiz. Ein wichtiger Faktor ist das hohe Vertrauen in Institutionen.
Auf einer Zugfahrt von oder nach Bern kann man schon mal einem Mitglied der Schweizer Regierung begegnen. Fast immer sind sie ohne speziellen Schutz unterwegs.
Das Vertrauen in die Regierung ist in der Schweiz höher als in jedem anderen OECD-Land.
Gemäss der ETH-Studie “Sicherheit 2023” ist es während der Pandemie sogar leicht gestiegen. Gleichzeitig gehört die Schweiz politisch wie wirtschaftlich zu den stabilsten Ländern der Welt. Stabilität ist ein Faktor für Vertrauen in Institutionen.
Weltweit war die Demokratie in den letzten Jahren auf dem Rückzug – und Staaten wie Brasilien und die USA erlebten Putschversuche.
Viele Demokratien ringen um ihren Erhalt. Die Schweiz ist stabil: Hier regieren Vertreter:innen der grossen Parteien von links bis rechts weiterhin zusammen.
Vertrauen in die Schweizer Regierung
Vertrauen ist ein Faktor für gesellschaftliche Stabilität. Seit der Staatsgründung 1848 mussten nur eine Handvoll Minister:innen unfreiwillig gehen. Im Bundesrat führen sieben Personen die sieben Ministerien des Landes – bisher 111 Männer und 10 Frauen. In Italien sind bereits seit 1946 nicht weniger als 1300 Minister:innen vereidigt worden.
Die Universität Bern kommt zum Schluss: Das hohe Vertrauen in die Schweizer Regierung, das in den letzten 20 Jahren noch gewachsen ist, gehört zu den Gründen dieser Kontinuität.
Wie in anderen ausgebauten Demokratien kontrollieren sich in der Schweiz Regierung, Parlament und Justiz gegenseitig – doch die Schweizer Bundesrät:innen müssen sich regelmässig Volksabstimmungen stellen. Und die Mehrheit der Stimmberechtigten sagt auch mal Nein, denn im Schweizer Selbstverständnis sind sie selbst der Souverän.
Das Schweizer Milizsystem übergibt die Verantwortung an die Bevölkerung. Wer etwas bewirken will, geht in einen Verein, an eine Demonstration – oder arbeitet bei den vielen Abstimmungen als Stimmenzähler:in.
Die Möglichkeiten der Teilhabe schaffen Vertrauen.
Vertrauen in die Schweizer Polizei
Das Vertrauen in die Regierung, die Wirtschaft und die Gerichte ist gross in der Schweiz. Es ist aber die Polizei, die das höchste Vertrauen geniesst: In der jährlichen ETH-Studie erreicht die Polizei regelmässig den ersten Platz im Vertrauensranking. Ungeachtet der Kritik an der Polizei, etwa im Bezug auf die Verhältnismässigkeit von Einsätzen an politischen Demonstrationen oder Vorwürfe von Racial Profiling.
Vertrauensbildendes Verhalten trainieren Polizist:innen bereits in der Ausbildung. “Als Polizist kannst du eine Verkehrskontrolle auf unterschiedliche Arten machen”, sagt Fabia Freienmuth von der Polizeischule Ostschweiz im Gespräch mit SWI swissinfo.ch.
“Ich kann hingehen, meine Arme verschränken und sagen: ‘Guten Tag, soso, was haben wir denn heute wieder falsch gemacht? Man kann es anders machen. Nämlich so, dass man die Situation deeskaliert, statt das Gegenüber zusätzlich zu provozieren.” Das schaffe eine positive Erfahrung als Basis für den nächsten Kontakt mit der Polizei.
Polizist:innen sollten sich auch in Extremsituationen professionell verhalten – in der Polizeischule Ostschweiz trainieren die Polizeischüler:innen das in der Ausbildung.
Vertrauen dank Wohlstand und Schweizer Franken
Die Schweiz ist ein funktionierender Rechtsstaat mit ausgebauten persönlichen Freiheiten: Im politischen System sind Mittel gegen zu starke Machtkonzentration bei Einzelnen oder Parteien angelegt. Einwohner:innen und Bürger:innen können sich gegen Willkür verteidigen. Die Freiheit von Forschung und Presse ist geschützt. Ausnahmen gibt es, etwa im Bankengesetz.
Zum vergleichsweise hohen Vertrauen trägt der Wohlstand bei: Die grosse Mehrheit der Menschen in der Schweiz lebt in wirtschaftlicher Sicherheit.
Knapp 15% der Einwohner:innen sind armutsgefährdet oder arm. Diese leiden besonders unter den steigenden Preisen von Lebensmitteln, Energie und Konsumgütern.
Dass die Preise in der Schweiz im letzten Jahr weniger gestiegen sind als in den Nachbarländern, liegt auch am Schweizer Franken, der sich gegenüber der Inflation erstaunlich stabil zeigt.
Freie Sicht aufs Mittelmeer
Das für viele Menschen bequeme Schweizer Leben hat auch immer wieder kritische Stimmen hervorgerufen: Kann es gute Kunst geben, wenn so wenig Unerwartetes passiert?
Schon im 19. Jahrhundert hat der einzige Schweizer Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler mit der Vorstellung gespielt, die Alpen zu sprengen. Das Jammern über die Stabilität des Landes ist seitdem in jeder Generation erneut Thema.
Klar ist: Wer sich als Gedankenspiel Explosionen überlegen kann, lebt ein Leben, in dem Bombardements sehr unwahrscheinlich sind.
Ebenso klar ist, dass es in der Schweizer Geschichte immer wieder zu Momenten kam, in denen viele das Ende dieser vermeintlich ewigen Stabilität fürchteten.
Wenn das Vertrauen erodiert
2023 feiert die Schweizer Bundesverfassung ihr 175. Jubiläum. Gleichzeitig mit den Feierlichkeiten fordert eine Volksinitiative die Totalrevision der Verfassung.
Auch in der Schweiz ringen Institutionen um ihre Legitimität und frühere Autoritäten müssen sich aktiv um Vertrauen bemühen.
Die Sozialen Medien verändern den Diskurs. Populistische Erruptionen wurden in der Schweiz oft eingebunden. Doch sie fordern auch in der Schweiz immer wieder heraus.
Der Schweiz steht dieselbe Herausforderung bevor wie allen Demokratien: Wie kann die Bevölkerung einen gesellschaftlichen Zusammenhalt entwickeln und bewahren. Die Ausgangslage dafür ist nicht so schlecht.