Saturday, November 9, 2024
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Warum Die Hässlichste Straße Im Feinen Luzern Lohnt


Luzern ist eine der luxuriösesten Städte der Schweiz, berühmt für ihr idyllisches Bergpanorama, die Uhrengeschäfte und eine Delikatesse, die Kult ist. Abseits der Touristenrouten überrascht zudem ein Denkmal, das die Metropole besonders liebenswert macht.

Der Weg ins Schlaraffenland ist in Luzern ganz leicht: immer nur der Nase nach! Die führt einen eher früher als später zum Chäs Barmettler. Vor dem alteingesessenen Käsegeschäft werden nämlich Chäschüechli gebacken, die einen feinwürzigen Duft in die Hertensteinstrasse verströmen.

Luzerner wissen die Käseküchlein seit mehr als 40 Jahren zu schätzen. „Meine Eltern haben sie schon 1976 gemacht, in genau demselben Ofen, den ich bis heute verwende“, erzählt Thomas Barmettler, der das Geschäft in zweiter Generation führt.

Dass seine Chäschüechli sogar in einem Artikel der „New York Times“ zum kulinarischen Kult erklärt wurden, schmeichelt dem gelernten Käser natürlich, doch statt über Lob aus Amerika spricht er lieber über Sorten, Konsistenz, Reife und richtige Lagerung.

Früher dachte ich, Käse sei doch bloß geronnene Milch, die man nur lange genug stehen lassen müsse. Stadtkind eben, aber eines, das zum Glück auf einer Ziegenfarm lernen durfte, wie man melkt und die Milch verkäst. Seitdem habe ich großen Respekt vor Landwirten und schaue auch anders auf die in Plastik verpackten Industrieprodukte in den Käseregalen unserer Supermärkte. Heute möchte ich selbst wissen, ob die cremigen Frischkäse und die pikanten Weichkäsekugeln aus Rohmilch sind oder ob veganes Lab zum Eindicken der Milch verwandt wurde.

Thomas Barmettler, der das Käsen von der Pike auf gelernt und zehn Jahre als Käser gearbeitet hat, bevor er Anfang der 1990er-Jahre das Geschäft der Eltern übernahm, kann auf jede meiner Fragen ein Impulsreferat halten. Er erklärt allerdings mit so viel ansteckender Leidenschaft, dass man begeistert beschließt, sich durch sein gesamtes Angebot zu probieren, um zu wissen, worüber der Experte da eigentlich fachsimpelt.

Ein Langzeitprojekt, denn im Chäs Barmettler können rund 100 Käsesorten gekostet und gekauft werden, von A wie Appenzeller bis Z wie Ziegenbrie – ein himmlischer Querschnitt durch köstliche Käsedelikatessen. Wie ein Sommelier über Wein, so kann auch Thomas Barmettler zu jeder Sorte eine Geschichte erzählen und weiß, welche traditionellen Käsesorten auch heute noch in kleinen Dorfkäsereien produziert werden.

Selbst schwärmt er besonders für den l’Etivaz, ein Hartkäse, der in den Waadtländer Alpen nach alter Väter Sitte über dem offenen Feuer und gemäß traditionellem Rezept aus Rohmilch hergestellt wird. Würzig-fruchtig und leicht nussig im Geschmack zeigt der elfenbeinfarbene l’Etivaz, welche köstliche Kraft in Kuhmilch steckt, vorausgesetzt man lässt sie lang genug reifen. Eines ist nach der ersten Proberunde klar: Wer Luzern sagt, muss auch Bündner Bergkäse, Emmentaler, Greyerzer, Sbrinz, Tilsiter und Vacherin Mont-d’Or sagen. Riechen und reinbeißen! (chäs-barmettler.ch)

Die B-Seite von Luzern

Vermutlich ist das hier die hässlichste Straße im feinen Luzern. Unter den Sohlen kleben Kaugummis, Benzingeruch durchdringt die Luft, und eine akustisch gepflegte Umgebung klingt ganz sicher auch anders. Mehr als 20.000 Autos donnern täglich durch die Baselstrasse, die im Volksmund auch gern „Rue de Blamage“ genannt wird. Ein Aushängeschild ist sie gewiss nicht, eher eines Trostlosigkeitspokals würdig. Auf dem Boden der Tatsachen liegt eben immer zu wenig Glitzer, aber wie so oft ist in solchen Bruchstellen urbanen Lebens die Welt zu Hause.

Im Mittelalter verbannte man Leprakranke, Bettler und Verbrecher aus dem Stadtzentrum und schob sie in das Gebiet um die Baselstrasse ab. Heute leben hier Menschen aus 70 Nationen: Türkische Barbiere, tamilische Gemüsehändler, mexikanische Köche, afrikanische Haarstylisten, syrische Flüchtlinge und Schweizer Straßenmusikanten – und mitten unter ihnen: Heinz.

Unübersehbar zwar, aber dennoch unerkannt. Dreieinhalb Meter groß, drei Tonnen schwer harrt Heinz ausgerechnet an der lärmigsten und hektischsten Stelle aus, an der die lang gezogene Ausfallstraße auf den Kreisel trifft, der Kreuzstutz genannt wird. Mitten auf der Verkehrsinsel wacht die überlebensgroße Betonstatue des ehemaligen Straßenkehrers Heinz Gilli über den Strom vorbeifließender Autos. Kaum ein Luzerner, der noch nicht an ihm vorbeigefahren ist.

Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2008 hat Heinz für die Sauberkeit im Quartier gesorgt, schon frühmorgens Schaufel und Besen geschwungen und in Winternächten die Bürgersteige vom Schnee befreit, Tag für Tag.

2016 ist er als mächtige Betonfigur in sein altes Revier zurückgekehrt. Es ist ein Werk des Künstlers Christoph Fischer, der in Heinz nicht allein das fleißige Stadtoriginal sah, sondern einen Stellvertreter für alle Arbeiter und einfachen Leute im Kreuzstutz-Viertel.

Üblicherweise werden Denkmäler ja vom Volk zu Ehren der Herrscher und nicht von den Herrschern zu Ehren des Volkes errichtet. Wenn in einer der luxuriösesten Städte der Schweiz, die für ihr idyllisches Berg- und Seepanorama gleichermaßen berühmt wie für ihre unzähligen Souvenir- und Uhrengeschäfte berüchtigt ist, endlich auch einmal dem kleinen Mann ein Monument gesetzt wurde, ist das nicht allein eine Hommage an den inzwischen verstorbenen Heinz Gilli, sondern ein herzerwärmendes Symbol von Respekt und Menschlichkeit, das Luzern besonders liebenswert macht.

SourceWelt
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